Eine neue Kategorie: Unter „Radio Julia“ stelle ich künftig Songs vor, die zu meinen absoluten Lieblingsstücken der populären Musik zählen.
Ich muss zugeben, dass mich vor allem Klangfarben, Melodien, Rhythmen und Zusammenklänge ansprechen. Es kann schon mal passieren, dass ich erst nach Jahren merke, worum es im Text eines Songs eigentlich genau geht. Dem liegt absolut keine Geringschätzung für Lyrik zugrunde. Es ist viel mehr so, dass ich es selten schaffe, mich darauf zu konzentrieren, weil ich einfach mit der Musik beschäftigt bin. Und so werde ich auch eher auf die musikalischen Aspekte eingehen.
Heute macht ein Song von Paul McCartney den Anfang. „Jenny Wren“ stammt aus dem Album „Chaos an Creation in the Backyard“ von 2005. Das Lied war die zweite Singleauskopplung.
McCartney verleiht dem Song einen ganz besonderen Sound, indem er zum einen seine Gitarre einen Ganzton tiefer stimmt, zum anderen setzt er ein besonderes Soloinstrument ein: Eine armenische Duduk. Es handelt sich um ein Holzblasinstrument. Es ist etwa so groß wie eine Flöte, besitzt jedoch ein sehr großes Doppelrohrblatt. Es erinnert im Klang eher an das tiefe Register einer Klarinette als an eine Oboe. Klanglich reizvoll finde ich auch, dass er den Gesangspart in den Strophen mit der Gitarre verdoppelt.
Ich kann nicht verhehlen, dass mich der Klang akustischer Instrumente in populärer Musik besonders anspricht, weil ich absolut klassisch geprägt bin und mit dem guten Reinhard Mey überstimme, wenn der singt:
Da lob‘ ich mir ein Stück Musik von Hand gemacht
Noch von einem richt‘gen Menschen mit dem Kopf erdacht,
‘ne Gitarre, die nur so wie ‘ne Gitarre klingt,
Und ‘ne Stimme, die sich anhört, als ob da jemand singt.
Halt ein Stück Musik aus Fleisch und Blut,
Meinetwegen auch mal mit ‘nem kleinen Fehler, das tut gut,
Das geht los und funktioniert immer und überall,
Auch am Ende der Welt, bei Nacht und Stromausfall!
„Like so many girls, Jenny Wren could sing – But a broken heart took her song away“ lauten die ersten Zeilen bei McCartney. Mir gefällt an der harmonischen Umsetzung, dass McCartney innerhalb dieser kurzen Strecke mehrfach mit den Tongeschlechtern spielt. So bekommt neben der Grundtonart B-Dur, der parallele Mollakkord g-Moll besonderes Gewicht und die Phrase endet statt auf B-Dur, auf b-Moll. Das kurze Zwischenspiel bis zur nächsten Textzeile bleibt noch auf b-Moll. Doch die neue Phrase startet wieder mit B-Dur. Dieses unmittelbare Nebeneinanderstellen von gleichnamigem Dur und Moll ist für einen Popsong schon ziemlich ungewöhnlich und raffiniert.
Die Melodie ist dabei völlig unspektakulär: Eine Abwärtsbewegung beginnend auf der Terz von B-Dur im Umfang einer Quinte in Sekundschritten gefolgt von einer Aufwärtsbewegung, die auf der Moll-Terz endet. Diese Einfachheit lässt aber eben gerade den Raum, dass Klangfarben und Harmonien wirken können.
Die Rhythmik ist ebenfalls nicht sehr komplex, die Synkopierungen unterstreichen jedoch den insgesamt eher exotischen Sound.
Ich belasse es mal bei diesen wenigen Bestrachtungen, denn ich habe nicht die Absicht, meine Lieblingsmusik in jegliche Details zu zerpflücken, sondern will mir nur durchs Schreiben selbst klar werden, warum ich den jeweiligen Song eigentlich so sehr mag.
Also wer Lust bekommen hat, den Song anhören und dann beim nächsten Mal wieder Lesen, wenn es heißt „Radio Julia“.